Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Frank Sitta schrieb für „Focus Online“ folgenden Gastbeitrag:
„Soziale Distanz“ ist das Gebot der Stunde, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen. Gemeint ist damit aber natürlich ausschließlich die körperliche Distanz. Der soziale Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft ist dagegen wichtiger denn je. Wie geht beides zusammen? Die Digitalisierung kann dabei ein fundamentaler Baustein sein. Viele private Initiativen und andere Länder machen vor, welche klugen Ansätzen schnell helfen können.
Ein 15-Jähriger baute beispielsweise eine eigentlich simple, aber lokal sehr hilfreiche Website für Nachbarschaftshilfe in Berlin. Dort können sich freiwillige Helfer für alltägliche Dinge wie Einkäufe oder Kinderbetreuung eintragen. Die Idee, digital zu zentralisieren, was in vielen Hausfluren bereits offline geschieht, wird von einzelnen Personen im Kleinen bewundernswert schnell umgesetzt. Bestehende Nachbarschafts-Apps und Social Media helfen genauso. Aber kann das nicht auch im Großen, auf nationaler Ebene, funktionieren?
Eine staatliche Hotline zur Koordination von Freiwilligendiensten wurde in Österreich bereits schnell und erfolgreich installiert. Eine entsprechende digitale Plattform kann problemlos in wenigen Tagen aufgebaut und national genutzt werden. So könnten zum Beispiel Lieferdienste für erkrankte und betreuungsbedürftige Personen, Kinderbetreuungsdienste und jede andere Form der Unterstützung von Risikogruppen zentral koordiniert werden. Aber auch die Aktivierung von Ehrenamtlern in der Gesundheitsversorgung wäre denkbar.
In Abstimmung mit dem Robert-Koch-Institut könnten so auch freiwillige Assistenten angelernt werden, die Tests durchführen. Teil des Systems könnte auch eine Meldeplattform für Medizinstudenten sein, die Hilfsdienste in Kliniken ausfüllen. Denn wir erleben auf verschiedenen Ebenen, dass bereits vereinzelt vorliegende Informationen nicht ausreichend gebündelt und zur Krisenbewältigung genutzt werden können.
Kritische Infrastrukturen, die man zentral besser koordinieren könnte, beschränken sich aber nicht nur auf die Gesundheitsversorgung vor Ort. Freiwilligendienste könnten auch bei der Aufrechterhaltung von Handel und Logistik eine wichtige Rolle spielen oder sogar auf einfache Tätigkeiten bei der Produktion von Wirtschaftsgütern ausgeweitet werden.
Notwendig wird die zentrale Koordination vor allem dann, wenn einzelne Versorgungsketten wegen Quarantäne-Maßnahmen nicht mehr vollständig aufrechterhalten werden können. Interessant würde eine solche nationale Plattform nicht nur während der ersten Infektionswelle, sondern insbesondere in den nachfolgenden Wellen, wenn es umfangreichere Ausfälle gibt, auf der anderen Seite aber auch schon erste immunisierte Personen.
Eine zentrale, digitale Koordinierung ist nicht nur bei Arbeitskräften, sondern auch im Rahmen von Bedarfs- bzw. Kapazitätsmeldungen der Kliniken und niedergelassenen Ärzte sinnvoll. Es ist gut und der erste Schritt, dass sich die Kliniken bereits auf ein System zum Abgleich der allerwichtigsten Informationen, wie der der Anzahl freier Intensivbetten und Atmungsgeräte, verständigt haben. Das gleiche System könnte problemlos auch auf die Koordination aller möglichen weiteren knappen Güter in der Gesundheitswirtschaft ausgeweitet werden.
Die viel zitierten und ausufernden Hamsterkäufe ziehen mittlerweile an keinem Supermarkt des Landes vorbei. Auch hier schaffen digitale Möglichkeiten eine Lösung, der Bevölkerung die völlig unbegründete, aber scheinbar real existierende Angst vor Versorgungslücken zu nehmen. In Taiwan beispielsweise zeigen von der Regierung auf den Markt gebrachte Apps den Lagerbestand von Atemschutzmasken in Geschäften und Zentrallagern der Umgebung an. Auch wenn diese in Deutschland vermutlich den Klopapier-Bestand erfassen müssten, wären solche Instrumente sinnvoll, um unnötige Ladengänge und somit Infektionsrisiken zu vermeiden und Güter des täglichen Bedarfes effizienter einzusetzen und zu verteilen.
Die technische Umsetzung ist eine Frage von wenigen Tagen. Entsprechende Plattformen existieren und die Bundesregierung hat die Möglichkeit, sie für die Öffentlichkeit kurzfristig zentral verfügbar zu machen. Auch ist notwendiger IT-Sachverstand in der Bundesregierung vorhanden. Die Projekte müssen jetzt nur zentral angestoßen, koordiniert und umgesetzt werden.
Nicht ganz so trivial ist der Aufbau eines zentralen Systems zum Monitoring von positiv getesteten Fällen oder Verdachtsfällen. Dennoch scheint auch das möglich. Um auf das Positivbeispiel Taiwan zurückzukommen: Hier entschied man bereits im Januar, die Daten der nationalen Krankenversicherung mit denen der Einreisebehörde, des Melderegisters und der Ausländerregistrierung abzugleichen. So war es möglich, Einreisende aus Risikogebieten viel besser als in Deutschland und Europa zu identifizieren und zu informieren. Es soll nur einen Tag gedauert haben, bis das System startbereit war.
Was wir dagegen in Deutschland sehen, ist nicht befriedigend und resultiert aus jahrelanger struktureller Untätigkeit. Besteht etwa aktuell der Verdacht, sich mit dem Corona-Virus infiziert zu haben, muss man ein PDF-Formular ausfüllen und an sein zuständiges Bezirksamt senden. Manche bekommen dann keinerlei Rückmeldung, bei anderen wird vereinzelt eine strenge Quarantäne angeordnet. Dem Personal in den Behörden, Verwaltungen und Ämtern soll dabei keine Vorwürfe gemacht werden, sie tun ihr Bestes zu unserem Schutze.
Es muss sich aber generell die Frage nach der Leistungsfähigkeit des Systems auf Basis der derzeitigen Arbeitsweise gestellt werden. Denn es ist nicht hinnehmbar, dass das derzeitige formularbasierte Modell in den Kreis- und Bezirksverwaltungen nicht weiter digital bearbeitet und mit anderen Daten wie dem Melderegister verknüpft werden kann. Andernfalls hätte man bereits vereinzelt kleinräumig Hochrisikogebiete ausweisen und möglicherweise sogar einzelne Personen identifizieren können, die unbewusst und unverschuldet erkrankt und somit besonders viele andere Personen anstecken hätten können. Sobald qualitativ hochwertige Daten vorliegen, eröffnen sich unzählige Möglichkeiten, daraus schnellstmöglich ein flächendeckendes Netz mit punktuell notwendigen Schutzmaßnahmen zu entwickeln.
Auch und gerade Künstliche Intelligenz kann hierbei eine wichtige Rolle spielen. Das wichtigste, und die Grundlage jeden staatlichen Handelns, in Bezug auf Informationstechnische Risikovorsorge ist jedoch vollumfängliche Transparenz. Nur mit ihr kann den Bürgern eines Staates das Vertrauen in einschränkende Maßnahmen gegeben und erreicht werden, dass alle Beteiligten Hand in Hand arbeiten.
Solch kluge digitale Systeme können in einer Krisensituation wie der Corona-Pandemie Leben retten. Dabei geht es nicht um die Ausweitung von Datensammlung oder die Aufweichung des Datenschutzes, denn beides ist im Einklang mit Bürgerrechten niemals vereinbar. Es geht vielmehr um die intelligente Verknüpfung von Daten, die auch jetzt schon erhoben werden oder vorliegen.
Bislang findet das leider in der Bundesregierung an keiner Stelle zentral koordiniert statt. Innen- und Gesundheitsministerium sind mit anderen wichtigen Aufgaben verständlicherweise schon ausgelastet. Ein koordinierendes Digitalministerium könnte dabei Abhilfe schaffen und somit wertvolle Ressourcen gebündelt einsetzten. Mit diesen digitalen Lösungen kann der Staat für bestmöglichen Bevölkerungsschutz sorgen und seinen Bürgern, trotz der notwendigen sozialen Distanzierung, weitrechende, auch soziale Möglichkeiten zur Krisenbewältigung an die Hand geben.