Der in Halle geplante größte Rangierbahnhof Mitteldeutschlands (offiziell: Zugbildungsanlage Halle-Nord) ist eines der zehn Güterverkehrszentren, mit dem Deutschland den Anschluss der innerdeutschen Nord-Süd-Trasse Berlin – München an die Güterverkehrs- und Logistik-Standorte in Ost- und Südeuropa herstellen wird. Damit werden die Bahnanlagen in Halle zu einem Personen- und Güterverkehrsknoten von europäischer Bedeutung durch seine Lage im Netz von Bundesautobahnen, Wasserstraßen, Flughafen und eben der Deutschen Bahn ausgebaut.
Allein die geplanten Kosten für den Ausbau des Güterverkehrsknotens betragen 120 Millionen Euro. Die Kosten für den anschließenden Ausbau der Bahnanlagen und des Bahnhofes Halle werden noch einmal mit 385 Millionen Euro veranschlagt bei einer vorgesehenen Bauzeit von 2012 bis 2025. Damit handelt es sich um die größte Investition, die Halle derzeit erfährt und die noch weit in die Zukunft ihre Wirkung für die Stadt und das Umland entfalten wird.
Hintergrund ist der Spurplanumbau des Schienennetzes zur Erfüllung europäischer Standards. Nur so können Güter- und Personentransporte künftig – ohne Zeitverzug zur Umrüstung der Wagen von einem nationalen Schienennetz in das benachbarte – von einem europäischen Land in das nächste fahren. Damit verbunden sind auch höhere Fahrgeschwindigkeiten und natürlich auch die bessere Erfüllung von Sicherheitsstandards, um nur die wichtigsten Maßnahmeziele zu nennen. Hierin eingebunden ist der Bau von Unter- und Überführungen für Individualverkehr, von Straßenkreuzungsbauwerken, Sicherungsanlagen, Schallschutz- und Entwässerungsmaßnahmen.
Es werden bei dieser Baumaßnahme des Bundesverkehrsministeriums und der Deutschen Bahn AG die Bahnanlagen des Hauptbahnhofes, am Schlachthofviertel, unter der Berliner Brücke, entlang der B100, in Halle-Trotha, an der B6, Anlagen im Saalekreis (Peißen, Reußen, Landsberg Süd) sowie in Angersdorf und Halle-Nietleben und Halle-Südstadt betroffen sein.
Zukünftig sollen täglich ca. 2.400 Güterwagen zu neuen Zugeinheiten zusammengestellt werden können, was einen enormen Leistungsanstieg gegenüber den derzeit nur ca. 100 Waggons darstellt. Damit der Betrieb reibungslos funktioniert, werden etwa 150 neue Arbeitsplätze geschaffen. Die in den dienstleistenden Wirtschaftseinheiten entstehenden Arbeitsplätze sind hier nicht mitgerechnet. Schon 2015 wird Halle in das ICE-Netz Berlin-Halle-Frankfurt/M.-München eingebunden. Dafür muss die erste Ausbaustufe dann bereits fertig sein.
Infrastrukturplanung des Bundes und frühe Bürgerbeteiligung vor Ort nach PIVereinhG
Mit dem am 01.3.2012 eingebrachten und durch den Bundestag beschlossenen Entwurf für ein „Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren“ (PIVereinhG), an dessen detaillierter Erarbeitung die Verfasserin im Vorfeld selbst beteiligt war, wurden Regelungen für eine bessere Öffentlichkeitsbeteiligung auf den Weg gebracht. Ziel ist die frühzeitige Beteiligung und Mitsprache der Bürger bei der Durchführung von Infrastrukturprojekten von herausragender Bedeutung. Um ein solches Vorhaben handelt es sich hier.
Die städtischen Räte und der Planungsausschuss des Stadtrates wurden noch nicht offiziell informiert, obwohl die städtischen Mitarbeiter des betroffenen Amtes über die bereits vor längerer Zeit übergebenen Planungsunterlagen der DB AG verfügen. Offensichtlich hat die Stadtverwaltung inzwischen auch Vorverhandlungen über Planungsänderungen an der B100 ohne Bürgerbeteiligung durchgeführt. Das Verhandlungsergebnis der Stadtverwaltung mit der DB AG ist durch den Stadtrat nicht legitimiert. Die gewählte Verfahrensweise widerspricht dem Tenor des oben genannten Bundesgesetzes und hat in der Planungsausschusssitzung schon vehementen Widerspruch gefunden. Was wäre nun aber der geeignete und durch das neue Beteiligungsgesetz vorgegebene Weg für eine frühzeitige Beteiligung und Mitsprache der Bürger?
Das PIVereinhG sieht eine ausgewogene Lösung vor, die sowohl eine zügige Durchführung der notwendigen Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren, zugleich aber auch eine angemessene und frühzeitige Einbindung der Bürger ermöglicht. Dazu wird über das neue Instrument der „frühen Öffentlichkeitsbeteiligung“ nach Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) eine Bürgerbeteiligung bereits vor dem förmlichen Verwaltungsverfahren durchgeführt, also vor der Planeinreichung bei der Behörde und vor dem eigentlichen Verwaltungsverfahren. Ziel ist es, während des Planungsverfahrens in einem möglichst großen Personenkreis einen Dialog anzustoßen, der ungewollte Probleme nach Abschluss des Genehmigungsverfahrens vermeiden hilft.
Entsprechende Beispiele wie Stuttgart 21 und Großflughafen BBI sind hinlänglich bekannt und in die Gesetzgebung eingeflossen. Diese Form der frühzeitigen Bürgerbeteiligung erlaubt, den Vorhabenträger rechtzeitig über Anregungen und Bedenken zu informieren und trägt so wesentlich zur Konfliktprävention und zur kostensparenden Modifizierung von Planungsvorhaben dieser Größenordnung bei. Auch das förmliche Verfahren profitiert von den Ergebnissen der frühen Beteiligung, da wesentliche Erkenntnisse im Vorhinein bekannt werden und das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsgerichte entlasten. Eine Verfahrensbeschleunigung kann sich möglicherweise ebenfalls ergeben. Hier ist eine sachkompetente und intelligente Mediation sicher hilfreich.
Im Vorfeld durch die FDP-Fraktion im Stadtrat angeregte Beschlüsse zur B-Planung für das von der Infrastrukturmaßnahme betroffene Schlachthofviertel wurden seitens der Stadtverwaltung seit Sommer 2011 immer wieder zurück gewiesen und letztmalig im November 2012 auf ungewisse Zeit vertagt.
Gerade die Entwicklung des historischen Schlachthofes mit seinem angrenzenden allgemeinen Wohngebiet und den darin eingebetteten Gewerbebetrieben sowie die daran angrenzenden Industriebrachen unmittelbar entlang der Gleiskörper sind dringend einer sensiblen städtebaulichen Entwicklung zuzuführen, wenn man Wildwuchs durch fehlende Weichenstellung in der zu erwartenden Neuansiedlung vermeiden will. Da helfen auch nicht vorbildlich vorgeplante Gebietsbereitstellungen entlang der Achse nach Halle-Ost, weil die Ansiedlung in unmittelbarer Nähe zum Standort Bahnhof/Güterverkehrsknoten einfach wirtschaftlicher sein kann. Der Konfliktstoff mit den dort befindlichen Wohnquartieren und dem denkmalgeschützten Schlachthof-areal ist vorhersehbar und bedarf des Ausgleiches durch angemessen gehandhabte städtische Planungsinstrumente. Dies trägt wesentlich zu Rechtssicherheit und verkürzter Antragsgeschwindigkeit für Neuinvestitionen bei. Die Qualifizierung des alten Schlachthofes von der Industriebrache zum städtebaulichen Raum und zur Wahrnehmung als historisches und denkmalgeschütztes Kleinod in der geografischen Mitte der Stadt Halle ist dabei eine Herausforderung an die städtische Verwaltung, die in den letzten beiden Jahrzehnten sträflich ignoriert worden ist.
Wir wollen vor Ort unsere Chance durch Bündelung aller Interessen und Kräfte für eine Aufwertung und Fortentwicklung der ganzen Region nutzen und nicht diese einmalige Gelegenheit durch Profilierungswünsche Einzelner, die sich nicht am Gemeinwohl orientieren, kaputtmachen. Erste Ansätze für beide Möglichkeiten sind erkennbar.
Die Entwicklungspotenziale durch den Rangierbahnhof sind für Halle, Leipzig und Umland:
- Aufwertung städtischer Industrie- und Gewerbestandorte in der Stadt selbst durch besondere Entwicklungsförderung bisher unterentwickelter Standorte im Osten Halles
- Standortvorteile in bestehenden Wirtschaftseinheiten: Entwicklung der Saalehäfen, Entwicklung der Logistik- und Fuhrunternehmen als vorhandene größte Arbeitgeber am Ort
- Anbindung und bessere Auslastung des Flughafens Leipzig-Halle als Frachtflughafen
- Logistik-Cluster: Berlin-München durch Hochgeschwindigkeitsstrecke, Halle-Leipzig durch Flughafen sowie Straßen- und Wasserstraßennetz
- Öffnung der mitteldeutschen Region nach Ost- und Südeuropa