Wer hat´s gemacht? Wir ham´s gemacht!

Gut ein Jahr nach der Wahl des neuen Bundesvorsitzenden sollte der Bundesparteitag am 21./22.April in Karlsruhe ein neues Grundsatzprogramm verabschieden und damit der FDP den erhofften Aufschwung im Wählerinteresse bringen. Überschattet war das Vorhaben Grundsatzpro-gramm vom Weggang des damaligen Generalsekretärs Christian (nicht Patrick!!) Lindner, dessen Handschrift das Programm trug. Somit war es die Aufgabe des designierten Generalsekretärs Patrick Döring, das Grundsatzprogramm in der innerparteilichen Diskussion zu einem guten Ende zu bringen.

Die Fahrt nach Karlsruhe verlief in 5 Stunden Zugfahrt ganz angenehm und das in Bahnhofsnähe befindliche Hotel ermöglichte gleich noch ein Frischmachen, so dass ich pünktlich 12:00 Uhr auf der Messe sein konnte. Die Karlsruher Messe befindet sich im Übrigen auf der Gemarkung Rheinstetten, was ich interessant fand, wenn man immer die Kurzsichtigkeit bei der Flächensuche in Mitteldeutschland kennt.

Unsere kleine sachsen-anhaltische Delegation mit 13 von 15 anwesenden Delegierten saß etwas links der Mitte des Saales im zweiten Block abseits der Kameras. Leider hatten zwei nicht angereiste Delegierte ihre Stimme auf jeweils einen anderen anwesenden übertragen und somit zwei Ersatzdelegierten die Hinfahrt verweigert. Wir Hallenser waren mit Cornelia Pieper, Uwe Lühr und mir gut präsent, hätten aber auch gern Jennifer Emmrich, die von der Naumann-Stiftung eingeladen war, mit Stimmrecht versehen. Hier wurde aus kleinlichem Machtdenken die Chance verpasst, jungen Mitgliedern ein aktives Parteitagserlebnis zu vermitteln. Auf den Plätzen der Delegierten standen Powerdrinks und Trinkflaschen, was auf einen langen Sitzungstag hindeutete.

Eröffnet wurde der Parteitag mit einer kämpferischen Rede der baden-württembergischen Landesvorsitzenden Birgit Homburger, die natürlich als ehemalige Fraktionsvorsitzende insbesondere die Erfolge im Bund betonte. Im Rahmen der allgemeinen Eröffnungsregularien gab es den Geschäftsordnungsantrag, die Redezeit der Grußredner auf jeweils 10 Minuten zu begrenzen und die Aussprache über die Berichte und zum Programm zusammen zu fassen, was glücklicherweise abgelehnt wurde.

Der Karlsruher Oberbürgermeister Fendrich (CDU) verwies in seiner Rede auf das Steuerprivileg der Bürger bei Stadtgründung, kennzeichnete die Badische Verfassung als erste deutsche liberale Verfassung und stellte beeindruckend die Wissenschaftsstadt Karlsruhe vor. Aufgrund des Tages der offenen Tür des Rathauses musste er leider gleich wieder weg. Wir konnten bei der Straßenbahnfahrt durch die Stadt schon das Getümmel sehen.

Die Antrags- und Programmkommission hatten gemeinsam 14 Stunden getagt, um dem Parteitag eine Empfehlung zum Umgang mit den bis dahin vorliegenden 718 Änderungsanträgen, zu denen dann weitere 54 hinzukamen, zu geben. Eine erstmalig angefertigte Synopse aller Anträge war ein hervorragender Service für die Delegierten und erleichterte das Verfahren sehr. Nachdem viele Anträge übernommen, zurückgezogen oder in Empfehlungen zum Wahlprogramm gewandelt wurden, verbleiben noch ca. 100 abzustimmende Anträge.

Doch zunächst hörten wir die Reden der Spitzenkandidaten zu den bevorstehenden Landtagswahlen. Wolfgang Kubicki betonte, dass es seit dem vorigen Abend Wolfgang und Philipp gäbe und Wahlen nur gemeinsam zu gewinnen seien. Er meinte, die liberalen Menschen wollen ihre Heimstatt zurück und ein starker Staat akzeptiert die Privatsphäre seiner Bürger. Kubicki sprach sich für eine einheitliche Mehrwertsteuer ohne Ausnahmen und eine vereinfachte Einkommenssteuer aus. Des Weiteren lehnte er Steuersenkungen ab, solange die Staatsschulden nicht getilgt seien. Die Banken sollen verkleinert werden, um eine Staatsintervention in den Markt unnötig zu machen. Von ihm kam ein klares Bekenntnis zum Schutz geistigen Eigentums. Insgesamt war es eine sehr inhaltsreiche Rede, die einige Kernpunkte der liberalen Politik neu ordneten. Dafür gab es teilweise stehenden Beifall.

Christian Lindner sprach deutlich länger und blumiger. Nach einem Angriff auf Rot-Grün in NRW – „Lieber neue Wahlen, als neue Schulden“ – verlor er sich in Wortgeklingel. Er meinte, dass Selbstbewusstsein gepaart mit Bescheidenheit Souveränität sei und so der Wahlkampf gewonnen werde. Ein seriöser Stil sei Merkmal der Liberalen. Schließlich bot er das Betreuungsgeld als Sparvorschlag zur Haushaltssanierung an. Die Schleckerpleite sei Ergebnis einer Abstimmung der Bürger mit den Füßen von der Firma weg. Ein wenig weit aus dem Fenster lehnte sich Lindner, als er die Rot-Grüne Regierung aufforderte, ein „klimafreundliches“ Kohlekraftwerk in Datteln als „Beitrag zur CO2 Verminderung“ endlich zu genehmigen. Die Verbrennung von Kohle als Verringerung der Emission von Kohlendioxid zu bezeichnen fand ich als Naturwissenschaftler etwas vermessen. Schließlich kennzeichnete Lindner die FDP als letzte bürgerliche Partei und bekam großen Beifall, der von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz stehend gegeben wurde. Natürlich hatte es der Bundesvorsitzende nach den beiden Wahlkämpfern schwer, aber das musste nicht zu einer derartigen Rede ausarten.
Offensichtlich völlig verkrampft, sprach Rößler immer drei Worte und pausierte danach im Rhythmus. Das Ganze auf 1 Stunde 10 Minuten führte viele zum Schluss, dass eine Stunde kürzer besser gewesen wäre. Hauptthema war natürlich der neue Grundsatz „Wachstum“. Ohne Wachstum geht gar nichts, war die sehr scharf formulierte Aussage. Ansonsten kamen die bekannten Themen, wie Toleranz als einzige Partei in Deutschland, gegen den Überwachungsstaat, für die Freiheit des Internets. Er bezeichnete die Piraten als Freibeuter des Internets gegen das Eigentum. Natürlich fehlte die Geschichte aus der Familie nicht: Die Oma von Philipp Rößler ermöglichte seinem Vater das Abitur – das ist wahrhaft liberal, denn es bedeutet Aufstieg durch Bildung. Er sprach sich in dem Zusammenhang für das Gymnasium gegen die Einheitsschule aus. Rößler konstatierte, dass Kreativität und Forschung Deutschland verlassen würden, wobei ich mir dachte, wer denn als Wirtschaftsminister für jenen Bereich zuständig sei! In der Schlecker-Pleite lobte der Bundesvorsitzende die klare liberale Haltung der FDP-Wirtschaftsminister. Schließlich meinte er, es bestünde kein fairer Wettbewerb, wenn die Mineralölkonzerne an ihre eigenen Tankstellen den Sprit billiger abgeben, als an fremde und wenn dies unterbunden sei, würden die Preise fallen. Das habe ich nicht verstanden, aber ich will ja dazulernen. Die Solarunternehmen geißelte der Wirtschaftsminister als „Subventionsabkassierer“ bevor er liberale Wirtschaftspolitik auf Q-Cells und Schlecker reduzierte. An der Stelle schien ihn auch die Wachstumseuphorie verlassen zu haben. 2014 versprach Rößler einen ausgeglichenen Bundeshalt und schloss Steuererhöhungen aus. Nun sind 2013 Wahlen und bezüglich Steuern hatten wir auch schon mehr versprochen, aber das hat vielleicht keiner gemerkt. Jetzt zog doch noch ein Hauch von Westerwelle-Redeart durch den Saal. Nach den lauten Aussagen “Man kann Wahlen verlieren, Ämter, Mandate, aber man darf nie seine Überzeugung verlieren. Wir bekamen viel Kritik, aber es kommt nur auf eines an – unsere Aufgabe ist die Freiheit. Wir bleiben in der Mitte, “ gab es die erhofften 4:13,3 Minuten stehendes Klatschen.

Die Aussprache fand unter weitest gehender Abwesenheit der Delegierten statt, da alle erst mal etwas essen wollten oder eine Massage brauchten. Und weil sich die Kritik der Delegierten im Vorfeld der Landtagswahlen in Grenzen hielt, dauerte die Aussprache nicht lange, so dass kurz darauf die Satzungsänderungsanträge zur Abstimmung kamen.

Im Anschluss sollte der designierte Generalsekretär Patrick Döring gewählt werden. Seine Vorstellungsrede war nicht klar als solche erkennbar, da im Wesentlichen das neue Grundsatzprogramm eingebracht wurde, was zu Getuschel führte, ob er die falsche Rede erwischt habe. Ein erfahrener Delegierter aus unserer Reihe meinte: „Wenn er zum Schluss sagt: Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder. war es die Vorstellungsrede“. Das sagte er nicht (vielleicht weil er keine Kinder hat), aber danach kam doch die Wahl und nicht die Programmdebatte. Sein Wahlergebnis von 72,05 % war nicht berauschend, doch alle waren zufrieden.

Nun wurden in Folge noch ein neuer Schatzmeister (für Patrick Döring) und aufgrund von Amtsaufgaben noch zwei Beisitzer gewählt. Hier glänzte Otto Fricke als Schatzmeister mit 97,77%. Die weiteren Beisitzer bekamen auch ungewöhnliche Ergebnisse über 80%. Ich konnte mich nicht erinnern, Nachwahlen in diesem Ausmaß miterlebt zu haben – offensichtlich ist unsere Partei in Bewegung.

Bereits um 19:00 Uhr konnte nun die Beratung des Grundsatzprogramms beginnen, doch erst mal gab es einen Antrag, die Redezeit auf 1 Minute zu verkürzen, schließlich den Vorschlag, lange Änderungsanträge länger zu begründen und Wortänderungen kurz. Eine Abstimmung ergab kein klares Bild. Man einigte sich auf Rede-Gegenrede, es sei denn, Generaldebatte sei gewünscht. Somit konnte es in den Abstimmungsmarathon von über 100 Änderungen gehen, doch vorher gab es die Einbringungsrede des frisch gewählten Generalsekretärs. Hier fehlte mir ein wenig der rote Faden und man spürte, dass es nicht sein Programm war. Zunächst wurde das Grundsatzprogramm in Karlsruher Freiheitsthesen umbenannt, was ich unter Würdigung der badischen Vergangenheit und der Gegenwart des Bundesverfassungsgerichts eine gute Wahl finde.

Beim Schlendern durch den Markt der Möglichkeiten, auf dem Unternehmen sich vorstellten, wurde mir ein Glückskeks angeboten. Der Spruch lautete: „Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter dich“, was ich als gutes Omen für den Parteitag betrachtete.

Zum Zwecke der Optimierung der Beratung des Programms haben wir in Sachsen-Anhalt jedem Delegierten einen Abschnitt verantwortlich übergeben, zu dem er/sie die Änderungsanträge analysieren und daraus für alle Abstimmungsempfehlungen geben sollte. Meine Zuständigkeit waren die Teile Kindergarten und Bildung, was relativ einfach war, da das Programm ob seiner deutschlandweiten Gültigkeit keine Revolutionen enthielt. Erstmalig gab es keinen Antrag auf Bundeszuständigkeit für die Bildung.

Nach Beginn der Beratung des Wirtschaftsteils wollte man diesen zu Ende abstimmen, stellte jedoch gegen 21:30 Uhr fest, dass beim Baden-Württemberg Abend wohl das Essen allmählich etwas lange warmgehalten wurde und unterbrach den Parteitag bis zum nächsten Morgen. Als Abendprogramm stand der besagte Baden-Württemberg Abend zum Preis von 25 EURO p.P. im Programm und zwei Drittel der halleschen Delegierten nutzen dieses Angebot. Cornelia Pieper wurde am nächsten Tag als Tänzerin gelobt, also war die Veranstaltung ganz stimmungsvoll, auch wenn sie in der Messe stattfand. Da ich in einem Hotel am Bahnhof – etwa 10 km entfernt – untergebracht war, fuhr ich mit Veit Wolpert und Lydia Hüskens zum Hotel, um dort im Umkreis noch etwas zu essen. Leider hat uns Karlsruhe dabei versetzt. In Bahnhofsnähe hatten alle Hotels in ihren Gaststätten inzwischen Küchenschluss, so dass wir mit Flüssignahrung vorlieb nehmen mussten. Hier erstaunte uns die Schwarzwaldstube (!) mit der Nachricht, dass es keinerlei einheimische Biere gäbe und empfahl uns ein Radeberger – 600 km von zu Hause.

Wenn man nicht feiert, kommt man am nächsten Morgen leichter hoch und so war ich zur Fortsetzung der Programmberatung, die 9:12 Uhr begann, wieder in der dm-Arena. Zunächst erhielten wir einen fachlich sehr fundierten Bericht der Arbeit im Europaparlament von Alexander Graf Lambsdorff, welcher gefolgt wurde von einem Grußwort Graham Watsons, dem Vorsitzenden der liberalen Fraktion im Europaparlament – dies im Übrigen in Deutsch. Mittlerweile hatte ich mich mit unseren Karlsruhern Freunden Heinz Golombeck und Dieter Scholl getroffen und über vergangene und zukünftige gemeinsame Vorhaben ausgetauscht. Wir waren uns einig, in nächster Zeit die Partnerschaft wieder mehr leben zu lassen. Am Stand der Liberalen Frauen traf ich dann Rita Fromm bei der Arbeit.

Bei der Wahl der Mitglieder im ELDR Council, die zunächst als Wahl der Delegierten zum ELDR-Kongress angekündigt wurde, gab es keinen Vorschlag aus Sachsen-Anhalt, obwohl Cornelia Pieper gern kandidiert hätte, doch da hatte wohl ein sehr kleines Gremium in unserem Landesvorstand nur sich selbst befragt.

Schließlich kam der Stimmungshöhepunkt des Parteitags, die Rede von Rainer Brüderle. Zu Beginn zählte er die Erfolge der FDP in der Regierung auf, zu denen die höchste Beschäftigungsquote über-haupt, 12 Mrd. EURO mehr für Bildung und eine stabile Wirtschaft gehören. In Form eines Wechselgesprächs mit Brüderles Frage „Wer hat´s gemacht?“ und der Antwort des Publikums „Wir ham´s ge-macht“ kam es zu einem Jubel im ganzen Saal. Der Fraktionsvorsitzende meinte: „Kein westliches Land steht besser da, als Deutschland. Das ist unsere Politik!“ Zu Schlecker fand er klare Worte: „Erst haben die Gewerkschaften öffentlich zum Boykott von Schlecker aufgerufen und dann haben sie sich gewundert, es hat funktioniert. Was ist das für eine Mitbestimmung?“ Endlich wurde das Verhalten der liberalen Minister als aktive Politik dargestellt und nicht als zufälliges Ergebnis. Launig kam die Feststellung Brüderles: „Fällt den Sozis etwas ein, muss es eine neue Steuer sein“, zu den Plänen für einen Alterssoli. „Bei der Herdprämie ist bei der CDU der Ofen längst aus. Die CSU steht in der kalten Küche“, so bekräftigte Brüderle die Haltung der Fraktion zu diesem heiß diskutierten Thema. Sehr gut fand ich die Aussage zur Schulpolitik: „Es gibt nicht das deutsche Einheitskind. Deshalb darf es auch keine Einheitsschule geben.“

Offenkundig hat sich die Bundestagsfraktion auch ein wenig vom Zentralismus getrennt. „Piraten sind libertärer Gulasch“, war eine treffende Bezeichnung der neuen Bewegung. Zu weiteren erfrischenden Formulierungen möchte ich die Videos unter www.fdp.de empfehlen.

Beim Europateil der Freiheitsthesen trat erst- und einmalig Guido Westerwelle ans Mikrophon und ließ in seiner kurzen Rede zu einem Antrag ein wenig Sehnsucht der Delegierten nach einem schmetternden Vorsitzenden aufblitzen. Dank intensiver Beratung gelang es 13:52 Uhr das Programm zu beschließen. Hier empfehle ich natürlich die Lesung des gesamten Programms und verzichte auf das Herausstellen einzelner Punkte. Der neue Generalsekretär sah es in seiner Schlussrede als Weiterentwicklung des Liberalismus und es ist nun an uns, den Geist der Karlsruher Freiheitsthesen in unserem politischen Handeln spürbar zu machen. Die Verabschiedung von Wolfgang Adrian aus der Bundesgeschäftsstelle und des Pressesprechers Wulf Oehme zeigte Tradition und bereitete auf neue Herausforderungen vor. Fünf Stunden im Zug bei einem guten Buch gaben dann noch ein wenig Sonntagnachmittagserholung.

Als Fazit lässt sich ziehen: Die FDP lebt durch ihre Mitglieder und es tut auch mal gut, wenn einer sagt: „Wer hat´s gemacht? Wir ham´s gemacht!“

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