Nie wieder dritte Liga

Parteitagsbericht aus der persönlichen Sicht eines halleschen Delegierten

Der ordentliche FDP-Parteitag im Mai 2011 fand in der schönen Hanse- und Hafenstadt Rostock statt und wohl keine Partei hat mehr Nähe zum Meer wie unsere mit ihrem bisherigen Vorsitzenden der bekannt wurde mit dem Spruch „Auf jedem Schiff das dampft und segelt, gibt´s einen der die Sache regelt“. Ob Rostock wirklich schön ist, konnte der fleißige Delegierte nicht nachempfinden, denn ein Arbeitsprogramm von 11 bis 22 Uhr am Freitag, 9 bis 20 Uhr am Samstag und 9 bis 14 Uhr am Sonntag, ließ keine Zeit für einen Hafenspaziergang. Der völlige Ausschluss von Tageslicht aus der Kongresshalle tut ein Übriges, den Veranstaltungsort beliebig werden zu lassen. Somit schlossen wir alle wahlkampfführenden Verbände in unsere Gebete ein und gaben Bremen (noch 1 Woche), Mecklenburg-Vorpommern (noch 4 Monate) und Berlin (noch 4 Monate) die besten Wünsche auf den Weg.

Hauptzweck des Parteitages war es den Ankündigungen des FDP-Präsidiums folgend, Guido Westerwelle in Pension zu schicken und den Neustart zu machen. Diese Entscheidung schien zwingend, da auch in der Partei die Kritik an Herrn Westerwelle massiv geworden war. Der Parteitag sollte unter anderem eine Abrechnung mit der Vergangenheit werden. Was in Rostock dann stattfand war etwas anderes. Guido Westerwelle hielt erwartungsgemäß eine Rede, die den Übergang zu Elder Statesman markierte, was für einen 49-jährigen ein wenig komisch wirkt, und erhielt dann minutenlange stehende Ovationen, die in ein rhythmisches Klatschen abzugleiten drohten. Hochrufe auf die Partei- und Staatsführung erschallten nicht, hätten aber sicher keine Verwunderung ausgelöst. Man hatte das Gefühl, den Mann will die Partei, dass wird der neue Vorsitzende. In der Aussprache zur Rede kritisierte Wolfgang Kubicki aus Schleswig Holstein die Demontage von Guido Westerwelle und lag damit im Trend fast aller Redner. Lediglich der Europaabgeordnete Holger Krahmer aus Sachsen und ein paar vereinzelte meinten, dass unsere Parteitagsreden keine Umsetzung in Regierungshandeln gefunden hätten. Als Strafe bekam Guido Westerwelle zum Abschied eine hässliche Bronzeskulptur vom Stier und Europa geschenkt.

Bewegend war der Abschied von Herrmann Otto Solms, der seine Rede als Schatzmeister mit den Worten schloss „Ich trete ab“ Für ihn gab es an- und abschwellenden Beifall, wie bei herausragenden Darbietungen im Theater und Herr Solms musste sichtbar um Fassung ringen und die Tränen zurückhalten. Einhellig war unter den Delegierten um mich die Meinung, mit Solms als Finanzminister hätten wir keinen Scherbenparteitag veranstalten müssen. Eine Originalausgabe von Adam Smith´s „Der Wohlstand der Nationen“ von 1783 war ein würdiges Dankeschön für den großen Liberalen. Danach ging es zu den Delegiertenberatungen, die mangels Räumen in Baucontainern stattfanden. Unsere kleine Delegation von 15 Personen fand problemlos in einem Container Platz.

Parteifreund Dreblow aus Zeitz, der als Gast mitgefahren war, musste mit seiner Kamera draußen bleiben. Die Vorberatung der Personalentscheidungen bedurfte keiner Intensität, da für das Präsidium erstmalig nur jeweils ein Vorschlag bestand. Ich gab noch ein paar Empfehlungen für die Reihung der Sachanträge, um auch inhaltliche Impulse zu setzen, nicht ahnend, dass bis zum Ende des Parteitages nicht einmal alle drei Leitanträge beraten wurden.

Nach den Delegiertenbesprechungen fanden die Wahlen zum Präsidium und die Beratung der Satzungsänderungsanträge statt. Zu den Wahlen ist zu berichten, dass Birgit Homburger entgegen allen Unkenrufen ein sehr gutes Ergebnis erhielt, Holger Zastrow aus Sachsen als Nachfolger von Cornelia Pieper in der Ostspartei ein herausragend gutes und Jörg-Uwe Hahn aus Hessen, der durch seine Kritik quasi den Weg mit frei gemacht hatte für den personellen Neuanfang, wurde mit 52 Prozent abgestraft. Bei den Satzungsänderungsanträgen wurde lange über die Einführung einer Frauenquote geredet, doch 105 von 600 Stimmen reichten nicht für eine Satzungsänderung. 21:50 Uhr, über 12 Stunden nach Parteitagsbeginn, startete die Beratung der Sachanträge mit dem Paket „Einheitliche Umsatzsteuer, Abschaffung des Soli“. Um 22:00 Uhr war für Freitag Schluss und die Delegierten konnten den Abend ausklingen lassen.

Am Samstag früh 9:00 Uhr ging es in der Messehalle weiter mit dem Wahlgang zur ersten Abteilung der weiteren Beisitzer des Vorstandes, der sogenannten Kurfürstenliste, die ihren Namen der Tatsache verdankt, dass jeder Landesverband einen Kandidaten vorschlagen kann, der im allgemeinen auch gewählt wird. Danach fand die Beratung der Steueranträge ihre Fortsetzung.

Pünktlich 11:00 Uhr hielt der neue Bundesvorsitzende Philipp Rösler seine Rede in einem Stil, der sich von dem seines Vorgängers unterschied – ruhig, ohne laute Töne aber mit Witz. Er zitiert Genschers Rede auf der Prager Botschaft als Einstieg in das Thema Freiheit und verwies auf den Wunsch nach Freiheit solange es Menschen gibt. Die Freiheit stirbt stückchenweise meinte Herr Rösler und zitierte die Anekdote aus der Klimakatastrophenforschung und Managementberatung, wonach ein Frosch solange im sich erwärmenden Wasser bliebe, bis er nicht mehr springen könne. (Das Realexperiment zeigt starke Aktivität des Lurchs, das Wasser zu verlassen – THE LEGEND OF THE BOILING FROG IS JUST A LEGEND by Whit Gibbons November 18, 2002). Ich finde pseudonaturwissenschaftliche Vergleiche nicht vertrauensfördernd und hoffe, dass der Arzt Rösler nicht auf der Grundlage von Anekdoten therapierte. Gut allerdings die klare Ansage des Vizekanzlers, dass die FDP keine pauschale Verlängerung der Sicherheitsgesetze mitmachen werde.

An der Aussage „Ab heute wird die FDP liefern“ muss sich Philipp Rösler messen lassen, wurde doch ein Nichtliefern seinem Vorgänger zum Verhängnis. Hauptgegner sind für den neuen Bundesvorsitzenden die Grünen, die als Partei, welche alle staatlich beglücken will, nicht liberal sein können. Für uns sei es Zeit für ein neues Grundsatzprogramm. Deutlicher nach außen sollten nach meiner Meinung die klaren Worte des Vorsitzenden für informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz propagiert werden. Hier haben wir in der Vergangenheit nicht immer gestanden.

Wir müssen Herrn Rösler mal nach Halle einladen, damit er seine Behauptung, es gäbe in Deutschland keine Kindergärten mit Öffnungszeiten für berufstätige Mütter, an der Realität prüfen kann. Verdient wurde die hoffnungsvolle Rede mit minutenlangen stehenden Ovationen gefeiert, in denen der Wunsch nach Auferstehung mitschwang. Nach so viel Aufbruch wurde der Landesverband Sachsen-Anhalt wieder auf den Boden geholt, als unsere Kandidatin auf der Kurfürstenliste nicht die erforderliche absolute Mehrheit erhielt und in den zweiten Wahlgang musste, ebenso wie Wolfgang Kubicki, dem man wohl die Kritik nicht verzieh. Der Bundesvorsitzende warb noch einmal für den Schleswig-Holsteiner unter dem Hinweis auf die bevorstehenden Landtagswahlen. Beide Kandidaten schafften es bravourös im zweiten Wahlgang, nach dem die Wahl der zweiten Abteilung der Beisitzer des Bundesvorstandes, die sogenannte freie Wildbahn, begann. Hierbei gibt es keine Vorschlagsbevorrechtigungen, weshalb überregionale Bekanntheit oder gute Absprachen wertvoll sind. Für uns ging der neue Landesvorsitzende Veit Wolpert ins Rennen und verfehlte allen Beteuerungen der großen Verbände auf Unterstützung zum Trotz um 20 Stimmen den Einzug in den Bundesvorstand.

15:40 Uhr, nach fast 5 Stunden Beratung, wurde dann der Steuerkompromiss gefunden mit den Aussagen „Mehrwertsteuer ohne Denkverbote, Soli nicht auf ewig und gerechte Einkommensbesteuerung“. Das war jetzt nicht der große Wurf, aber nach dem Bundestagsabgeordnete uns in ihren Reden um keinen Beschluss baten, damit Wolfgang Schäuble es nicht verhindere, war wohl nicht mehr zu erwarten. Danach diskutierte der Parteitag über den Leitantrag des Bundesvorstandes zur Europapolitik, der durch einen Antrag von Herrn Schäffler zum Euro-Schutzschirm an Schärfe gewann. Dies war noch mal die Stunde des Altliberalen Burkhard Hirsch, der klar formulierte, dass er mit Rechtsnationalen nichts zu tun habe um dann klare Forderungen für eine Option der Insolvenz von Staaten aufzustellen. Er meinte, die Währungsunion sei keine Zwangsveranstaltung und sowohl das Recht auf Austritt wie die Möglichkeit des Ausschlusses müssten bestehen. Großer Beifall zeigte, dass er die Stimmung der Delegierten getroffen hatte. Im weiteren Verlauf der Debatte wurde häufig das Bekenntnis zu einem Europa ohne Grenzen mit einer Bekenntnispflicht für den Rettungsschirm ohne Grenzen gleichgesetzt.

Gegen 19:00 Uhr vertagte sich der Parteitag in Sicht auf den Mecklenburg-Vorpommern-Abend. Auf der Fahrt von der Messe zum Hotel traf ich auf dem Bahnhof Feiernde des FC Hansa Rostock in Blau-Weiß mit der lautstarken Ansage „ Nie wieder dritte Liga“. Ein kleiner harmloser Haufen skandierte sich unter staatlicher Beobachtung Mut zu und ich fühlte mich an die letzten zwei Tage erinnert.

Der Programmteil des Mecklenburg-Vorpommern-Abends bestand aus der Begrüßung durch den Bundesvorsitzenden, einer kurzen Rede des Mecklenburger Spitzenkandidaten Gino Leonhard sowie der Eröffnung des Buffets durch den Landesvorsitzenden gefolgt von einer gut tanzbaren, aber lauten Musik nach dem Essen, die leider alle Gespräche unmöglich machte, weshalb wir bald in ruhigere Lokalitäten flohen.

Ohne Rücksicht auf jene, die den Vorabend zu langen „programmatischen“ Runden genutzt hatten, begann auch die Sonntagsberatung um 9 Uhr. Nachdem der Bundesvorsitzende in seiner Rede bereits empfohlen hatte, den Bildungsantrag erst auf dem Parteitag im Herbst zu beraten, war klar, dass nur noch zu Europa diskutiert wird. Guido Kosmehl hatte unsere Delegierten aktiviert, da er als Delegierter zum ELDR Kongress kandidierte, so dass wir bei den weiteren Wahlen ansehnlich im Saal präsent waren.

Pünktlich 10:30 Uhr begann der alte und neue Generalsekretär Christian Lindner seine Rede mit einem Zitat von Karl-Hermann Flach aus dessen Buch „ Noch eine Chance für die Liberalen“ und verwies auf eine FDP, die immer Partei der Mitte sein wird und keine Ratschläge von anderen brauche, um zu wissen, wie sie sich entwickeln solle. Er prangerte den zunehmenden Präventionsstaat an, der den Bürger einschränkt und empörte sich über die Grünen in Person von Renate Künast und Claudia Roth. Zum Bereich Bildung verwies er auf den Parteitag im November, forderte jedoch die Gleichheit der Bildungssysteme in ganz Deutschland, ohne zu sagen, wie das liberale aussähe. Gleichheit bei völliger Eigenständigkeit der Schulen war die einzige Aussage. Als Geschichten über Nichtanerkennung von Hochschulabschlüssen zitiert wurden, wusste ich, warum Bundespolitiker nicht für Bildung zuständig sind. Insgesamt war die Rede des Generalsekretärs eine Oppositionsrede.

Statt ein Regierungsprogramm der nächsten zwei Jahre zu zeigen, wurden tatsächliche oder vermeintlichen Missständen in dieser Republik kritisiert, deren Änderung einer Regierungspartei durchaus möglich gewesen wäre, von der aktiven Beteiligung an früheren Beschlüssen z.B. der Föderalismuskommission ganz zu schweigen. Raunen im Saal erzeugte die Aussage von Lindner zur Abschaffung des Elterngeldes: „ Kinder werden nicht am grünen Tisch gemacht“. Da schweiften wohl einige gedanklich vom Kern der Politik ab. Zum Schluss gab´s noch mal Karl-Hermann Flach. Auch diese Rede erhielt stehenden Beifall und es fiel keinem auf, dass die kleine Delegation von Sachsen-Anhalt sitzen blieb.

Inzwischen bedurfte es starken Kaffees, um weiter fit zu bleiben, doch die Delegierten aus Halle scheuten kein Mittel, dass es ihnen ermöglichte, den Parteitag erfolgreich fortzusetzen.

Inhaltlich wurde nicht mehr allzu viel beschlossen, da unsere Bundes- und EU-Parlamentarier immer wieder vor der verheerenden Außenwirkung dieser oder jener Formulierung warnten und ansonsten behaupteten, die vorgelegten Beschlussempfehlungen seien sehr dezidiert. Wir sind also für Europa und den Rettungsschirm gibt es nur unter ganz ganz strengen Auflagen. Ca. 80 Anträge wurden an den Bundesvorstand zur Beschlussfassung überwiesen, weil der Parteitag sich seinem Ende näherte.

Bleibt noch zu erwähnen, dass von unserer Delegation niemand zu den Anträgen sprach, was sich beim folgenden Parteitag zum Thema Bildung ändern wird. Der nächste Parteitag findet am 12. November in Frankfurt statt und die spielen jetzt um den Wiederaufstieg in die erste Liga.

Geschrieben im Mai von Gerry Kley

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